Startversuche der sowjetischen Raketentruppen in Kapustin
Jar mit dem Aggregat 4
Wie schon lange Zeit bekannt, unternahmen die
sowjetischen Raketentruppen Ende 1947 11 Starts mit Raketen vom
Typ A4 in der Wüste Astrachans. Neben den vielen hundert Personen
aus den Truppenteilen und dem zivilen Bereich der UdSSR, trug auch
eine Gruppe von 16 Deutschen vor Ort ihren direkten Anteil am Gelingen
bei. Das waren:
Name, Vorname |
Arbeitsgebiet |
Ministerium |
Bemerkungen |
Gröttrup, Helmut |
Steuerun/Leiter |
Bewaffnung |
Abreise 13.09.1947 von Podlipki |
Matheis, Fritz |
Vermessung |
Bewaffnung |
Abreise 13.09.1947 von Podlipki |
Müller, Werner |
Ballistik |
Bewaffnung |
Abreise 13.09.1947 von Podlipki |
Nehrkorn, Horst |
Ballistik |
Bewaffnung |
Abreise 13.09.1947 von Podlipki |
Pehle, Max |
Vermessung |
Bewaffnung |
Abreise 13.09.1947 von Podlipki |
Rüdiger, Walter |
Messtechnik |
Bewaffnung |
Abreise 13.09.1947 von Podlipki |
Scholz, Walter |
Messtechnik |
Bewaffnung |
Abreise 13.09.1947 von Podlipki |
Stahl, Karl |
Schießkommando |
Bewaffnung |
Abreise 13.09.1947 von Podlipki |
Stolpe, Felix |
Telemetrie |
Bewaffnung |
Abreise 13.09.1947 von Podlipki |
Viebach, Fritz |
Schießkommando |
Bewaffnung |
Abreise 13.09.1947 von Podlipki |
Vilter, Hans-Albert |
Schießkommando |
Bewaffnung |
Abreise 13.09.1947 von Podlipki |
Wolff, Waldemar |
Ballistik |
Bewaffnung |
Abreise 13.09.1947 von Podlipki |
Wohlfahrt, Kurt |
Schießkommando |
Bewaffnung |
Abreise 13.09.1947 von Podlipki |
Hoch, Johannes |
Steuerungsexperte |
Bewaffnung |
Nachträglich, Ankunft 21.10.47 |
Magnus,
Kurt |
Kreiselspezialist |
Bewaffnung
|
Nachträglich,
Ankunft 21.10.47 |
Knittel,
Heinz |
Prüfstandsexperte |
Luftfahrtind. |
Anwesend
bei Triebwerkstestung |
Der erste Start gelang am 18. Oktober 1947 um
10:47 Uhr Ortszeit. Es war eine Rakete der Serie T. Sie flog genau
206,7 km weit und verfehlte ihr Ziel um 30 km. Die nächste,
wieder ein „Russe“, startete zwei Tage darauf. Noch
auf dem aktiven Teil der Aufstiegsbahn konnten alle am Startplatz
verfolgen, dass das A 4 mit einem starken Linksdrall vom Kurs abwich.
Die Übungsbeobachter meldeten nicht ohne Humor, dass das Objekt
in Richtung Saratow verschwunden sei. Saratow lag aber über
270 km entfernt. Theoretisch vorerst nicht zu erreichen. Trotzdem
tobten die Mitglieder der Regierungskommission. Es zeigte sich,
dass die Rakete zwar 231,4 km geflogen war, dafür aber mit
einer Linksabweichung von 180 km. Die Ursache war zu finden.
Gröttrup musste sich harte Worte von Minister Ustinow gefallen
lassen: „Das ist Ihre Rakete, sind Ihre Gerätschaften.
An unseren Spezialisten liegt es nicht, dass sie so weit von der
Richtung abgekommen ist!“ Den Hinweis auf Sabotage zurückweisend,
aber auch keine Erklärung für den Fehlschuss geben könnend,
schlug er vor, zwei weitere Deutsche zu holen. Da es scheinbar ein
Steuerungsproblem war, empfahl er die Doktoren Kurt Magnus, Spezialist
der Kreiseltechnik, und Hans Hoch, Experte auf dem Gebiet elektronischer
Umformung und Steuerung, auf das Testgelände zu holen. Am Abend
des 21. Oktober trafen sie ein.
Hoch stellte fest, dass ein Kondensator immer wieder durchschlug
und ließ ihn durch einen mit höherer Spannungsfestigkeit auswechseln. So lösten sie zur Zufriedenheit des Ministers
das Steuerungsproblem. Auch den Beteiligten schien ein Stein vom
Herzen gefallen zu sein. Auf der Rückseite des einzig bekannt
gewordenen Fotos der Deutschen in Kapustin Jar, auf dem Gröttrup,
Hoch und drei Mann des Schießkommandos abgebildet sind, formulieren
sie den Anteil Hoch's am Gelingen der Raketenabschüsse wie
folgt: „Hoch lebe unser Steuermann und seine Condensatoren“.
Die Deutschen wurden auf ihre Inseln zurückgeschickt, wo sie
am 9. Dezember wieder ankamen. Sie hatten drei Tagen Sonderurlaub
und jeweils bis zu 10.000 Rubel zusätzlich im Gepäck.
Doch diese waren nach der Währungsreform per 1. Januar 1948
nur noch 1000 Rubel wert.
Datum, Uhrzeit |
Rakete
|
Bemerkungen |
15.10.47
|
02T |
Durchschalttest in technischer Position;
Wartung des integrierten Triebwerks 04T auf Prüfstand |
16.10.47
|
02T |
Betankungstests und elektrischer Durchschaltversuch |
17.10.1947 00:30 MZ
|
02T |
Erster gelungener Brenntest, alles i.O. |
17.10.47
|
010T |
Vorbereitung in technischer Position, auf
Startplatz aufgestellt, Start geplant: 21:00 Uhr |
18.10.1947 10:47 MZ
|
010T |
1. Start einer A4, 206,7 km weit geflogen,
Zielabweichung 30 km |
19.10.1947 19:30 MZ
|
04T |
2. Rakete auf Startplatz angekommen |
20.10.1947 11:14 MZ
|
04T |
2. Start einer A4, 231,4 km weit geflogen,
Zielabweichung 181 km |
20.10.47
|
08T |
Am Abend 3. Rakete am Startplatz |
21.10.47
|
08T |
Undichtheit beim Brennstoff tanken; zurück
in technische Position |
22.10.1947 18:30 MZ
|
08T |
08T kommt wieder am Startplatz an |
22.10.47
|
11N |
Rakete auf Prüfstand, 5 Zündversuche - Hauptstufe
kann nicht geschalten werden |
23.10.1947 17:05 MZ
|
08T |
3. Start einer A4, im Flug drei Flossen
abgerissen; 29,4 km weit; 3,9 km Seitendrift |
23.10.47
|
11N |
Rakete hat Brennstoffleck im Prüfstand |
24.10.47
|
09T |
Am Startplatz wird die Rakete aufgestellt |
24.10.47
|
11N |
Generaldurchschaltversuch nicht bestanden,
weil Hauptstufe nicht kam |
25.10.47
|
09T |
Bein des Starttisches gebrochen -> Rakete
beschädigt, Sauerstoff läuft in Brennkammer |
26.10.47
|
11N |
Weiterhin Probleme auf Prüfstand, Schaltversagen
im Pult des Befehlsbunkers |
27.10.47
|
12N |
Rakete für Durchschaltversuch auf Prüfstand |
28.10.47
|
09T |
In Rakete wird Riss entdeckt, der Sauerstoff
auslaufen lässt |
28.10.1947 08:50 MZ
|
03T |
Rakete wird auf Starttisch aufgerichtet |
28.10.1947 16:47 MZ
|
03T |
4. Start einer A4; Flug erfolgreich; 274,3
km weit und 4 km vom Ziel entfernt |
29.10.1947 08:20 MZ
|
06T |
geplanter Start verschoben durch schlechtes
Wetter |
29.10.1947 19:30 MZ
|
12N |
erfolgreicher Brenntest des integrierten
Triebwerks 03N im Prüfstand |
30.10.47
|
06T |
Vorbereitung für Start, aber wegen schlechtem
Wetter abgesagt |
31.10.1947 16:41 MZ
|
06T |
5. Start; nach Start drehte sie sich um
die Längsachse, 2 km von Startplatz abgestürzt |
01.11.47
|
12N |
Auf Prüfstand Durchschalt und Brenntest,
Triebwerk normal |
01.11.1947 18:10 MZ
|
01T |
Rakete auf Startplatz, Nacht davor Startfreigabe
in technischer Position |
02.11.47
|
01T |
Fehler in den Rudermaschinen, wurde abtransportiert;
um 11:50 in technischer Position |
02.11.1947 10:47 MZ
|
14N
|
Rakete wird auf Starttisch aufgerichtet |
02.11.1947 18:14 MZ
|
14N
|
6. Start; 260 km weit geflogen mit Abweichung
von 5 km |
03.11.1947 09:00 MZ
|
30N |
Rakete kommt am Startplatz an |
03.11.1947 15:05 MZ
|
30N |
7. Start; nach Start starke Richtungsänderung,
Flossenabriss, Absturz 2,3 km vom Startplatz |
03.11.47
|
07T |
Rakete kommt am Startplatz an |
04.11.1947 12:20 MZ
|
07T |
Rakete wird wieder weggeschafft, Kurzschluss
im Kabelnetz |
04.11.1947 12:00 MZ
|
01T |
Nach Reparatur kommt Rakete in Startbereich
an |
04.11.1947 18:02 MZ
|
01T |
8. Start; 268,9 km weit, Abweichung von
1,1 km; normaler Flug |
05.11.1947 07:30 MZ
|
21N |
Arbeitsvorbereitung für den Start; 19:00
MZ Abbruch |
06.11.1947 07:00 MZ
|
21N |
Vorbereitung für den Start begannen wieder,
Start 12:10 MZ abgesagt wegen Bewölkung |
07.11.47
|
|
Feier zur Großen Sozialistischen Oktoberrevolution
(30. Jahrestag) |
08.11.47
|
21N |
Vorbereitungen zum Start, aber wegen schlechtem
Wetter wurde der Start abgesagt |
09.11.1947 14:00 MZ
|
21N |
Startvorbereitung mit Hoffnung auf gutes
Wetter, 16:45 MZ wieder abgesagt |
10.11.1947 08:00 MZ
|
21N |
neuerliche Startvorbereitung, 12:12 MZ erster
Zündversuch misslungen |
10.11.1947 12:39 MZ
|
21N |
9. Start; Absturz in 24,4 km, Seitenabw.
18,2 km, Krater: 17 m Durchm. 6
m Tiefe |
10.11.1947 16:00 MZ
|
22N |
Startvorbereitung; Start wurde wegen Austausch
der Rudermaschine Nr. 4 abgesetzt |
11.11.1947 08:00 MZ
|
22N |
Tests bestanden, wegen schlechtem Wetter
wurde der Start 12:10 MZ abgesagt |
12.11.1947 12:00 MZ
|
22N |
Wieder Startvorbereitungen, Wetter wolkig,
weitere Tests wurden 15:15 MZ beendet |
13.11.1947 08:00 MZ
|
22N |
Neuerliche Startvorbereitungen |
13.11.1947 11:30 MZ
|
22N |
Gelungener 10. Start, 270 km weit geflogen,
Abweichung von 80 Metern |
13.11.1947 12:00 MZ
|
19N |
neue Rakete auf Startposition |
13.11.1947 17:00 MZ
|
19N |
11. und letzter Start einer Aggregat 4,
262,2 km weit geflogen, Seitenabweichung 700 m |
MZ = Moskauer Zeit
|
©
Przybilski |
Nr.
der Rakete |
Startdatum |
Startreihen-folge |
Besonderheit |
01T
|
04.11.47 |
8. |
* |
02T
|
ohne |
ohne |
Brenntest am 17.10.47 (Antriebsblock
04T) |
03T
|
28.10.47 |
4. |
* |
04T
|
20.10.47 |
2.
|
*; **** |
06T
|
31.10.47 |
5. |
* |
07T
|
ohne |
ohne |
Defekt von Rampe genommen |
08T
|
23.10.47 |
3. |
*; **** |
09T
|
ohne |
ohne |
Havarie mit Starttisch, beschädigt |
010T
|
18.10.47 |
1. |
*; **** |
11N
|
ohne |
ohne |
Probleme auf Prüfstand |
12N
|
ohne |
ohne |
Brenntests am 29.10. und 01.11.47
(Antriebsblock 03N) |
14N
|
02.11.47 |
6. |
** |
19N
|
13.11.47 |
11. |
*** |
21N
|
10.11.47 |
9. |
*** |
22N
|
13.11.47 |
10. |
** |
30N
|
03.11.47 |
7. |
** |
Anmerkungen:
N: 29 Raketen (oder Baugruppen), die in
Deutschland („Werk III“/Kleinbodungen)
zusammengebaut wurden.
T: 10 Raketen (oder Baugruppen), die aus
deutschen Baugruppen in der UdSSR
(Podlipki/Moskau) zusammengebaut
wurden.
* = Alle T-Raketen wurden mit dem deutschen Messwerteübertragungsgerät
"Messina-1" ausgerüstet.
** = 5 N-Raketen ausgestattet man mit dem Gerät "FIAN" zur Atmosphären-
untersuchung des Physikalischen Instituts der Akademie der Wissenschaften der UdSSR.
*** = 5 N-Raketen rüstete man mit der deutschen Fernlenkeinrichtung "Hawaii-Viktoria" aus.
**** = Nach den ersten drei Starts wechselte man auf Anregung Dr. Hochs einen Kondensator im Mischgerät aus. Die folgenden Raketen (außer die lfd. Nr. 9 und 11) flogen so modifiziert.
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Im Bild: Die Rakete 03T wird auf den Starttisch aufgestellt. |
Von den 39 Raketen vom Typ A4 wurden 20 Stück
(10 x T und 10 x N) nach Kapustin Jar geschickt. Davon startete
man 11 Raketen und 2 testete man auf dem Prüfstand.
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