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Raketenerbe - Sigmund Jähn  

Der Weltraumheld meiner Jugend, von dem man glaubt, er kann nur unsterblich sein…

Mein Nachruf für Dr. Sigmund Jähn
(* 13. Februar 1937 in Rautenkranz; † 21. September 2019 in Strausberg)

Raumfahrt, Raketen oder Zeitungsmeldungen über „Geheimnisvolle Signale aus dem All“ sind für einen, der mit Captain Kirk von Raumschiff Enterprise und dem Kindheitstrauma, als Neunjähriger um Mitternacht von seinem Vater aus dem Bett „gezerrt“ und vor den vergrieselten Fernseher gesetzt zu werden, um zu erfahren, dass die Amerikaner auf dem Mond gelandet seien und ich das nicht verpassen dürfe, Alltag. Und so „inhalierst“ du in Folge die ganze DDR-Presse, schneidest Raumfahrtartikel aus, kaufst alle Bücher und triffst dich mit „Gleichgesinnten“.
Mitte 1978 steht der FDGB-Urlaub deiner Eltern in Ahlbeck an und du fährst kurz vor der Fahne noch mal mit an die Ostsee, um tiefenentspannt zu urlauben. Doch du weißt nach den von dir sehr emotional aufgenommenen Raumflügen der UdSSR mit den Interkosmosbesatzungen aus der ČSSR und der VR Polen, dass in den kommenden Tagen unser Mann, einer aus der DDR, an der Reihe sein wird. So war es für mich nicht überraschend, die Sondermeldungen am 26. August nachmittags im Radio zu hören. Der Fernseher wurde an diesem sehr heißen Augusttag für mich zum coolsten Gerät und gleich abends spendierte ich meinen Urlaubsbekanntschaften eine Flasche Rotkäppchen in der Seebrücke. Als echter Raumfahrtfan musste das sein. Und die schauten mich irgendwie ungläubig bis fasziniert an, wie ich davon „philosophierte“, auch ins All fliegen zu wollen. Hier vor Freunden, die ich vielleicht nie wieder sehen würde, traute ich mir das zu äußern. Woanders wirst du sacht als Phantast und extrem als Bekloppter wegen dem „Berufswunsch“ tituliert…
Sigmund Jähn, „unseren Kosmonauten“, sollte ich in den folgenden Jahren viele Male sehen, mit ihm kommunizieren, ihn treffen und auch näher mit ihm sprechen können: Zuerst als militärischer „Beifallsspender“ bei seiner „Promotiontour“ durch unsere Geteilte Deutsche Republik (GDR ☺) und nach der Wende als jährliche „Gallionsfigur“ zu den mit von mir organisierten Raumfahrttagen in seinem Geburtsort Rautenkranz. Er war IMMER die Ruhe selbst, so schien es mir, auch wenn er voll „vereinnahmt“ wurde von Staat und Partei - oder später von seinen Fans. So kann ich mir vorstellen, dass es ihn als bescheidenen DDR-Bürger nicht unbedingt erheiterte, als auf einem Handelsschiff die Bezeichnung FLIEGERKOSMONAUT DER DDR SIGMUND JÄHN weltweit Rekord haltend die ganze lange Bugseite ausfüllte. Bei vorhandenem Platz hätte man sicher noch DDR ausgeschrieben…
Da Sigmund Jähn genau wie ich Wassermanngeborener war, traute ich mir irgendwann ihm zum Geburtstag zu gratulieren. Und er schrieb nette persönliche Worte zurück!
Meine Tochter Virginie „schleppte“ ich damals mit zu den Raumfahrttagen, auch um ihr Sigmund Jähn vorzustellen. Dass sie das Metier so tief packte, sie dann als Studentin der Luft- und Raumfahrttechnik vor mir sitzend und erfolgreich diplomierend, dann als eine der Ersten medienwirksam das „German Trainee Programme“ beim DLR absolvierte und nun bei der ESA/ESTEC in Noordwijk meinen Traum lebt, konnte ich damals natürlich nicht ahnen.
„Herr Dr. Jähn“ erinnerte sich IMMER an mich, wenn wir uns trafen, sprach mich erkennend an – meinen Familiennamen sogar richtig aussprechend.
So konnte ich ihn auch „überreden“ (Zitat Jähn: „Ich ziehe mich langsam zurück und verreise nicht mehr so gern…“), an meiner damaligen Hochschule im Juni 2005 noch einen Vortrag zu halten. Trotz oder wegen keiner Werbung war der Hörsaal dann brechend voll von ihn verehrenden Zuhörern aller Altersgruppen…
Und so war es bis kurz vor seinem friedlichen Tod: Hat sich „Der erste Deutsche im All“ irgendwo als Gast angesagt, kamen die Massen in Strömen, um ihm zu lauschen. Gern und aus freien Stücken. Wegen dem Menschen Sigmund.
Als der 40. Jahrestag seines epochalen Raumfluges nahte, schrieb ich den Artikel „Es zog mich zu den Sternen…“ für die DGLR-Zeitschrift „Luft- und Raumfahrt“. Daraufhin telefonierten wir am 2. Advent 2018. Ich wollte ihn noch besuchen und einige Fragen stellen für das Buch, was ich aus dem Artikel erstellen werde...
Mit dem Fachartikel initiierte ich etwas, was zur Einmaligkeit werden sollte: Als alle Kosmonauten-Kandidaten, die beiden Witwen der Verstorbenen und der betreuende Arzt Dr. Hans Haase zusagten, sich in Dresden treffen zu wollen, drängte ich Sig, auch dabei zu sein. Offiziell über den Fliegerstammtisch Dresden geladen, folgten sie meinen Bitten…
Am 4. April diesen Jahres nach dem Mittag saß nun Sig und die Familien Boback und Haufe bei mir am Wohnzimmertisch, um anschließend gemeinsam mit der Straßenbahn in die Stadt zu fahren. Gern würde ich erfahren wollen, was die Mitfahrenden von unserer kleinen Reisegruppe mit dem berühmten Kosmonaut dachten.
Damit begann ein Nachmittag, der einzigartig werden sollte und sich für immer in mein Gedächtnis eingebrannt hat…
An diesem Tag fanden sich die „DDR Kosmonauten-Kadetten“ mit Sigmund Jähn in der Gaststätte „1900“  zu ihrem ersten und nun leider letzten Treffen nach dem Raumflug zusammen. Er wurde für alle Beteiligte ein unvergessliches Erlebnis.
Im Nachgang übersandte mir Sig noch am 25. Juni sehr interessante Dokumente und schrieb, dass er mir noch weitere schicken werde, wenn er sie findet…
Mitte September 2019 hielt Dr. Sigmund Jähn einen Vortrag in Rostock. Er sollte der abschließende in einer schier unüberschaubaren Reihe von öffentlichen Auftritten werden. Unser „Held der DDR“ schlief kurz danach am 21. September am Schreibtisch in seinem Haus in Strausberg friedlich ein.
Dieses „letzte Bild“ ist symptomatisch für den Menschen Jähn. Alle die immer noch täglich zu dutzenden eingehende Briefe und Autogrammwünsche beantwortete  Sig persönlich und handschriftlich! Darüber beklagt er sich nicht, obwohl nach dem 40. Jahrestag es über seine Grenzen ging, wie er mir damals am 2. Advent am Telefon hintergründig und humoresk eröffnete: „Ich bin reif für das Haus, was nur einen Eingang hat…“ Dieser Stress hinterließ sicher Spuren. Und im Gegensatz zu seinen deutschen Raumfahrerkollegen erhielt Jähn keinerlei finanzielle Unterstützung vom Staat z.B. für seine Postausgaben. Sicher sind Ehrungen und öffentliche Anerkennungen eine angenehme Seite. Doch regelmäßig monatlich hunderte von Euro für Portokosten an seine Fans privat ausgeben „zu müssen“ ist eine andere Sache. Und das beschämt mich sehr…
Meine persönlichen Erinnerungen an Sigmund Jähn werden lange halten.
Aber – plötzlich ist eine sehr liebenswerte und immer bescheidene Person nicht mehr da und es fallen einem die drängenden Fragen ein, die man noch stellen wollte…
Und dennoch.  Ich bin sehr glücklich, Sig, den Helden des Weltraums meiner Jugend, von dem man glaubt, er kann nur unsterblich sein, persönlich gekannt zu haben…

© Olaf Przybilski im September 2019

 

Widmung 1989

 

Postkarte Sig Baikonur 1992



Sigmund Jähn, wie man ihn in Erinnerung behält



Sigmund Jähn umringt von Jung und Alt auf dem IFR-Kongress 2009 in Dresden  



Die vier letzten DDR-Kosmonauten-Kandidaten im Sternenstädtchen vor ihrem Hotel Prophylaktorum  im November 1976 (© Haase)



"Es zog mich zu den Sternen..."
40 Jahre erster deutscher Weltraumflug aus der Sicht nicht dabei Gewesener