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Mein Nachruf auf Jesco von Puttkamer

geboren am 22. September 1933 in Leipzig
gestorben am 27. Dezember 2012 in Alexandria nahe Washington, D.C.

Auch für mich kam die Nachricht vom Tod völlig unerwartet. Erhielt ich doch noch im Dezember 2012 Jesco von Puttkamers neueste Publikation, „Wernher von Braun – Zum 100. Geburtstag des genialen Raketenbauers“ an der FH Aachen verlegt. Ich wollte mir im neuen Jahr das zugehörige Autogramm „organisieren“…

Neben den vielen Nachrufen im Internet will ich meinen persönlichen Part hinzufügen. Denn wer hatte schon die Gelegenheit nicht nur ein Sachbuch oder einen Science-Fiction-Roman von Puttkamer zu lesen, sondern sogar in „tiefster DDR-Zeit“ Post von ihm zu erhalten oder mit ihm bei einer Tagung gemeinsam auf der Bühne zu stehen?

Ich „kannte“ Jesco Hans Heinrich Max Freiherr von Puttkamer (so sein vollständiger Name)  seit den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Er entstammt dem Uradel pomoranischen Ursprungs auf der Linie Wollin - jüngeres Nossin - Zweig Jassen (siehe www.von-puttkamer.de). Dieser große Clan hat in der Vergangenheit „überall“ seine Spuren hinterlassen: Ob nun als einer der vielen Gefallenen des Zweiten Weltkrieges auf dem heutigen Dresdner Nordfriedhof oder als Autor, übrigens mit dem gleichen Namen Jesco von Puttkamer im „Reclams Universum“, Heft 48 vom 25. August 1932 über zukünftige Startversuche von Winkler HW-2 auf der Greifswalder Oie…

Raumfahrt war für mich seit jüngsten Kindeszeiten faszinierend und hier gerade die Beschreibung technischer Abläufe. Von Puttkamers Bücher über die APOLLO-Mondflüge sog ich förmlich ein. Irgendwann bekam ich nach einem „Westbesuch“ meiner Großmutter wieder ein Buch von ihr geschenkt: „Der erste Tag der neuen Welt“ mit der Story des Space Shuttles, das mich besonders fesselte. Irgendwo fand ich sogar eine Adresse vom Autor: Westmoreland Rd. in Alexandria, VA. Im Februar 1986 explodierte die CHALLENGER, was mich total erschütterte. Ich wusste, was ich machen musste: Ich schrieb meine Beileidsworte an die NASA, steckte sie in einen entsprechenden Umschlag und diesen in ein Couvert, adressiert an den „Herrn von Puttkamer“ und gab ihn meiner Oma bei ihrem nächsten BRD-Besuch mit. Und ich wollte es gar nicht glauben - nach wenigen Wochen lag ein Brief von der NASA mit einem Dankesbrief in meinem Briefkasten! Zuallererst war damit für mich die Post der DDR „rehabilitiert“, zeitgleich stand aber auch ein „komischer Mann“ in der Tür…

Ich ließ mich nicht abschrecken und dachte etwas praktischer weiter: Wenn von Puttkamer von einem unbekannten Ostdeutschen die Post weiterleitet, vielleicht könnte man ihm auch direkt ein paar Fragen stellen? Außerdem wurde es damals amtlich, dass der nächste IAF-Kongress in Dresden stattfinden würde. Das musste man doch „ausnutzen“! Gesagt, getan.

Im Januar 1987 nun setzte ich wieder über Oma einen Brief ab, persönlich gerichtet an von Puttkamer bei der mir bekannten offiziellen Adresse NASA Headquarters,  300 E Street, Washington, D.C. 20546. Ich beglückwünschte ihn darin zur Berufung als Honorar-Professor - das hatte ich, glaube ich, in den VDI-Nachrichten gelesen oder in der „Umschau“?, die konnte man beide im Lesesaal der Dresdner „Hochschule für Verkehrswesen“  bekommen - ich stellte mich kurz vor, auch meine Arbeit im Arbeitskreis Raumfahrt beim Kulturbund der DDR und war so vermessen auch für unsere Arbeit im Arbeitskreis konkret zu fragen:

= Wo finde ich offizielle EVA-Zeiten der NASA-Missionen?

= Wie kommt man an den STS 51-L Unglücksreport?

= Hat des Shuttle-Mockup OV 100 einen Namen?

= Gibt es schon einen für OV 105?

Und ich lud ihn beim kommenden IAF-Kongress in Dresden zu mir nach Hause ein.
Und wieder passierte das „Unmögliche“: Ende Juli 1987 rief mich meine Frau im Institut an und sagte, dass ich „schöne Post“ erhalten hätte. Zu Hause sah ich es: Einen ungewohnten großen gelben Umschlag mit einem Schreiben von Jesco von Puttkamer mit NASA-Briefkopf, in dem er die meisten meine Fragen kurz beantwortete! Seinen darin zu lesenden Worten doch nicht vertrauend, dass man die von mir gesuchten Dokumente, „in jeder guten technischen Bibliothek“ finden würde, legte er sogar Kopien von Tabellen zu Außenbordaktivitäten bei. Er ahnte sicher, dass die DDR-Bibliotheken doch nicht so gut sortiert waren. Interessant an diesem Brief ist, dass er nur seinen Dipl.-Ing. – Titel anführte.

Die Wende kam. Anfang Oktober 1990 ging der IAF Kongress leider ohne mich über die Bühne. Ob von Puttkamer anwesend war, weiß ich bis heute nicht. Wir beide sollten uns aus bestimmten Gründen zu diesem Zeitpunkt noch nicht über dem Weg laufen.

Es folgten sporadisch briefliche Kontakte, aber wir „verpassten“ uns immer wieder auf den Kongressen oder der Berliner ILA. Ende 1997 schließlich wagte ich den größten „Coup“ und schrieb „wieder mal“ an Professor von Puttkamer - NASA Headquarters. Ich eröffnete ihm, dass wir in Morgenröthe-Rautenkranz begonnen hätten, jährlich Raumfahrtstage abzuhalten. Da ich als Vorsitzender der DGLR-Bezirksgruppe Dresden an der Organisation direkt mit beteiligt war, „suchte“ ich nach entsprechenden Referenten. Den ihm gut bekannten Professor der TU München, Harry Ruppe, konnte ich ja zur ersten Veranstaltung 1997 bewegen, ins „Land der Vögte“ zu kommen. Da uns für 1998 das Hauptthema „Internationale Raumstation“ vorschwebte, dachte ich an ihn als Festredner und initiierte beim damaligen Bürgermeister und Vereinsvorsitzenden der Deutschen Raumfahrtausstellung Konrad Stahl die Anfrage, ob von Puttkamer nicht im Rahmen der kommenden ILA einen kleinen Abstecher nach Morgenröthe-Rautenkranz wagen würde.

Am 9. Januar 1998 ging von Prof. Dr. phil. h.c. Dipl.-Ing. Jesco Frhr. v. Puttkamer ein Telefax im Bürgermeisteramt in Morgenröthe-Rautenkranz ein. Darin bedankte er sich für die Einladung und drückte seinen Wunsch aus, den Besuch zu ermöglichen! Da aber seine Zeit sehr knapp bemessen sei, ist es noch recht unsicher, ob er zur ILA nach Europa reisen würde. Schließlich schloss man das Shuttle-MIR-Programm ab, stand an der Grundsteinlegung der ISS, und von Puttkamer war ein unerlässlicher Knotenpunkt bei all diesen Aktivitäten. Seine Frage zum Schluss, „ob die von Ihnen erwähnte Übernahme der Reisekosten auch für einen Rundflug von Washington (Business Class) in Frage käme“, wurde von „Conny“ Stahl sofort mir gegenüber am Telefon beantwortet: „Die 10.000 $ treibe ich schon auf!“. Soweit sollte es nicht kommen. Von Puttkamer reiste zur ILA, er sprach am 15. Mai 1998 in Morgenröthe-Rautenkranz und ich konnte ihn endlich persönlich kennenlernen…

Für die weiteren Referenten hatten wir uns ganz schön „weit aus dem Fenster gelegt“ um einen adäquaten „Gegenpool“ zu Puttkamer aufzubauen. Ich „schnorrte“ vom Sächsischen Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst Gelder für die Bezahlung der beiden russischen Kosmonauten Ziblijew und Lasudkin; offizielle Vertreter der ESA, der Chef der NASDA und deutsche Firmen rundeten diese einmaligen 2. Raumfahrtage ab. Der Tagungsband, wie in Folge immer von den Referenten signiert, liest sich heute wie aus einer anderen Welt: So glatt sollte der Aufbau der ISS nicht vonstattengehen.

Meine erstgeborene Tochter Virginie nahm ich wieder mit - ich infizierte sie (unbewusst) immer mehr mit dem „Virus Raumfahrt“. Heute arbeite sie bei der ESTEC in der ESA und lebt nicht nur meinen Traum in der bemannten Raumfahrt. Damals „interviewte“ sie von Puttkamer noch mit rein „irdischen Fragen“: Was hat der Ring am Finger für eine Bewandtnis (Siegel der Familie), warum trägt er keine Brille mehr (Laser-OP) usw.

Bei dieser einmaligen Gelegenheit überreichte ich ihm das recht aktuelle Buch von Michels und mir „Peenemünde und seine Erben in Ost und West“ mit einer ausführlichen Widmung, worüber er sich sehr erfreut zeigte. Insgesamt waren alle über 100 Tagungsteilnehmer sehr angetan von der interessanten Persönlichkeit des Deutsch-Amerikaners und der Fachkompetenz seiner Folgeredner…

Die Jahre gingen ins Land und es „verdichteten“ sich die Pläne, Anfang 2006 die USA zu bereisen, vorrangig die Raumfahrt-Stätten in Washington, Huntsville und Cape Canaveral. Besonders Washington mit dem National Air and Space Museum (Hauptgebäude auf der „Mall“) und die Außenstelle „Steven F. Udvar-Hazy Center“ sollten für mich die Highlights dort werden. Doch es gab ja noch den zentralen Punkt, den ich unbedingt besuchen musste: Die letzte Ruhestätte von Wernher von Braun. Von meinen Plänen auch Jesco von Puttkamer per Email berichtend, kam spontan die Antwort: „Ich begleite Sie!“. Er holte meine Frau und mich vom Hotel ab und wir fuhren nach Alexandria zum privaten Friedhof Ivy Hillside, wo das Urnengrab von Wernher von Braun zu finden ist. Dort verstreute ich meinen mitgebrachten Ostseesand vom Prüfstand VII über seine letzte Ruhestätte. Ich gab ihn als kleinen Gruß aus der Gegend, wo Wernher von Braun Erfolge und Rückschläge in der A4-Entwicklung erlebte (weitere Fotos hier auf der website). Es war sehr emotional für uns. Mittags lud uns Jesco zum Essen in ein uriges Fischrestaurant ein. Bei diese Gelegenheit erzählte er über unseren „ersten Kontakt“ (aus der Erinnerung aufgeschrieben): „Sie müssen sich diesen nicht alltäglichen „Vorgang“ vorstellen. Da erreichte mich doch eines Tages ein Brief aus der DDR, persönlich überbracht von einem Sicherheitsoffizier! Es gab einige Überlegungen von der Administration, wie darauf zu reagieren ist. Ich habe mich dafür entschieden, konkret zu antworten und doch so zu schreiben, dass kein neuerlicher Brief von Ihnen geschrieben werden würde. Der Brief konnte ja „alles mögliche“ bedeuten… Man wollte damals noch den Kontakt zu DDR-Bürgern tunlichst vermeiden.“

Auf der Rückfahrt nach Washington erinnerte mich meine Frau daran, dass wir noch einen zusätzlichen Koffer benötigten (sie hatte nicht zu viel eingekauft!). Da passierte etwas, was ich für fast nicht möglich hielt: Puttkamer änderte seinen Weg, hielt an einem riesigen Supermarkt und wir suchten zu dritt nach einem Koffer, der meiner Frau gefiel. Wieder in der Hauptstadt hielten wir endlich an seinem Arbeitsplatz in der 300 E Street, Washington, D.C. 20546. Eine Adresse, die mir immer unerreichbar schien, beäugte ich nun sogar von innen und kaufte noch schnell ein paar Souvenirs, bevor uns Jesco wieder am Hotel absetzte.

Der „Rest“ ist schnell erzählt. Mit der „Übersetzung“ der Memoiren von Boris Tschertok „Menschen und Raketen“, m.W. auch noch aus dem Deutschen (!) ins Amerikanische und den von mir angemerkten Kritiken, verdüsterte sich der Himmel zwischen Washington und Dresden. Jesco von Puttkamer hatte scheinbar an dieser Mammutaufgabe einen größeren Anteil, denn ab und an fragte er mich nach einer genauen Namensschreibweise der deutschen Raketenspezialisten oder anderes. Aber auch inhaltlich hielt ich ihm an Beispielen vor, dass die Aussagen von Tschertok nicht stimmen können (siehe hier auf unserer Website unter Gerät - Publikationen - Artikel / Leserbriefe). Puttkamer wollte nur Tschertok glauben, obwohl ich die entsprechenden Argumente anführte… Schade, dass keine Diskussion zwischen uns dreien zu Stande kam.

Nun sind beide tot und ich werde demnächst doch noch etwas mehr richtig stellen müssen, da in der deutsch-sowjetischen Raketentechnikgeschichte vieles anders verlief als man uns glauben schenken möchte.

Trotz alledem: Ich bin sehr dankbar, dass der berühmte NASA-Planer einem ostdeutschen „Greenhorn“ seine Zeit schenkte. Jesco - ich danke Ihnen dafür mit tiefster Verbundenheit!

© Olaf Przybilski
zum Jahreswechsel 2012 - 2013

   
Zusammenfassung der 2. Raumfahrttage (© Peter Heine).

Buchtitel des an der FH Aachen Ende 2012 verlegten Büchleins "Wernher von Braun - Zum 100. Geburtstag des genialen Raketenbauers". Wer von Puttkamer´s Essay "BRUNNENKRESSE UND RAKETEN" von 2007 kennt, findet hier nichts Neues. Sehr schlimm sind die Abbildungen, die, kleiner als Briefmarken, nichts erkennen lassen…

Der NASA-Brief vom 20.05.1986 an mich adressiert. Leider hat er durch Feuchtigkeit etwas gelitten.

Jesco von Puttkamers Brief vom 13.07.1987 mit seinen Antworten auf meine Fragen.

Der IAF-Kongress in Dresden 1990 - ohne mich.

Das Telefax vom 9. Januar 1998 von Prof. Dr. phil. h.c. Dipl.-Ing. Jesco Frhr. v. Puttkamer an das Bürgermeisteramt in Morgenröthe-Rautenkranz.

Titelseite des Tagungsbandes, von allen Referenten signiert.

Jesco von Puttkamer mit meiner Tochter Virginie und mir.

Ich überreiche von Puttkamer das Buch "Peenemünde".

Programm der 2. Raumfahrttage.

Programm der 2. Raumfahrttage.

Jesco von Puttkamer mit mir auf dem Ivy Hillside Cemetery am Grab von Wernher von Braun.

Mit Jesco von Puttkamer vorm NASA-Bürogebäude in der 300 E Street, Washington.