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Bob Ward – Dr. Space: The Life of Wernher von Braun

 

Bob Ward, Dr. Space: The Life of Wernher von Braun, erschienen am 15. Mai 2005 in der Naval Institute Press, U.S., ISBN-10: 1591149266, ISBN-13: 978-1591149262, Preis:31,46 € (gebundene Ausgabe)

In der englischen, gebundenen Ausgabe, welche mir vorlag, beschreibt der Autor Bob Ward, der ehemalige Herausgeber der Huntsville Times, auf 282 Seiten biografisch das Leben des Wernher von Brauns, womit der Inhalt auch nicht maßgeblich vom Titel des Buches abweicht. Das Vorwort stammt von John Glenn, dem ersten Amerikaner der 1962 in einem Raumschiff die Erde umrundete. Zusätzlich zum Text finden sich zwei recht ausführliche Abschnitte (S. 62 ff. und S. 174 ff.), welche die jeweiligen vorhergehenden und nachfolgenden Kapitel mit monochromen Fotografien illustrieren. Eine deutsche Ausgabe gibt es noch nicht. Eine Ausgabe für den europäischen Mark wurde umbenannt und  trägt den Titel From Nazis to NASA; erschienen am 1. Februar 2006 (siehe www.amazon.de). Die Zielsetzung des Buches wird vom Autor insofern erreicht, dass durch die Verwendung sehr vieler Zitate samt Angabe der jeweiligen Quellen im Quellennachweis auf den letzten Seiten, stets eine gewisse Objektivität des Autors gewahrt bleibt (wodurch sich der reißerische Titel der europäischen Ausgabe noch weniger erklären lässt). Auch chronologisch sind mir als Laien keinerlei Fehler aufgefallen.

Bei der subjektiven Bewertung dieser Biografie als Naturwissenschaftler, und nicht als Ingenieur, fällt mir zu allererst auf, dass es sich auch in diesem Buch quasi stets um einen zentralen Streitpunkt zu drehen scheint. Als deutscher Landsmann ist es auch dort nicht einfach für mich einen objektiven Standpunkt zu beziehen, so wie es für die amerikanischen Bürger wohl auch nicht leicht war einen ehemaligen Feind in der Verwaltung einer staatlichen Organisationen an der Spitze zu akzeptieren. So habe ich festgestellt, dass in dieser Biografie zwar keine Entschuldigungen gesucht werden, aber neben der üblichen Beschreibung des Werdegangs von Brauns viel Wert auf politische Positionen und Statements, von Peenemünde bis Washington, gelegt wird. Dies setzt sich auch in den beiden Appendices fort, wobei Appendix B, die Kopie eines Briefes von Brauns, besonders mein Interesse geweckt hat.

Vielleicht gerade wegen dieses Wesensgehalts ließ sich dieses Buch sehr mühelos lesen, und hat mir des Öfteren erfrischende Kurzweile beschert. Es war teilweise bestürzend zu erfahren wie von Braun noch mit Ende fünfzig in Washington im NASA Hauptquartier einer „jüdischen Mafia“, George Low und einer stetigen Mischungen aus Neid und moralischen Faktoren gegenüber stand. Im Zusammenhang mit seinem Wechsel „auf die andere Seite des Zauns“ von der NASA zu Fairchild Industries, fand ich das Zitat des Autors Tom Wolfe am imponierendsten: „Wernher von Braun war der einzige Philosoph, den die NASA jemals wirklich hatte.“
Gemäß der Mythologie des Phoenicis habe ich dieses Jahr am 16. Juni geheiratet, dem gleichen Datum an dem Wernher von Braun 1977 den Kampf gegen den Darmkrebs verlor.
Torben Hager, Bochum

 

Appendix B. Ein Brief über die moralische Verantwortlichkeit in Hitlers Deutschland

Wernher von Braun gab dem folgenden Brief, den er im Januar 1971 empfing, ernsthafte Beachtung, während er im NASA Hauptquartier in Washington arbeitete. Er kam von einem Fremden, einem Bewohner von Long Island, New York. Die ausgedrückten Bedenken, und die erhobenen Fragen, von diesem besorgten amerikanischen Bürger spiegelten zweifellos jene wider, welche Andere über den ehemalig feindlichen Raketenwissenschaftler in sich hegten, der aus Deutschland eingewandert war.

Lieber Dr. von Braun:

Ich kann nicht verstehen wieso Sie nicht Ihren Einfluss und Ihre Gestalt im zweiten Weltkrieg für die Bemühung einsetzten, das jüdische Volk zu retten.
Sicherlich, ein Mann Ihrer Größe muss die Ungeheuerlichkeit des ausgeübten Frevels verstanden haben.
Ich respektiere Ihre Fähigkeit als Wissenschaftler, aber kann Sie solange nicht als menschliches Wesen respektieren, bis Sie mir eine Erklärung für Ihre Verschwiegenheit während dieser Zeiten geben. Ich bin weder ein Sonderling noch bringe ich irgendeine Böswilligkeit gegen Sie hervor. Aber ich würde eine Erklärung von Ihnen wirklich begrüßen.

Aufrichtig,
Alan Fox

Am 22. Januar schrieb von Braun diese ausführliche Antwort, wovon eine Kopie aus seinem Korrespondenz-Ordner in Washington besorgt wurde.

Lieber Herr Fox:

In Bezug auf Ihren Brief vom 11. Januar, gebe ich Ihnen die folgende Antwort.
Während der Jahre direkt vor dem Beginn des zweiten Weltkrieges, war es für jedermann in Europa offensichtlich, dass politische Verfolgung in mehreren totalitären Ländern existierte. In den frühen Jahren des Hitlerregimes in Deutschland nahm diese Verfolgung viele Formen an, jedoch war die Herabwürdigung des jüdischen Volkes in der Nazi-Presse die Augenscheinlichste. Die Mehrheit der deutschen denkenden Bevölkerung hielt dies für das, was es war: Die notwendige Erzeugung eines Sündenbocks für die hoffnungslose Arbeitslosenzahl, um die Massen hinter der Regierung Hitlers zu sammeln. Wie auch immer, die Meisten, mich eingeschlossen, glaubten nicht einmal in ihren schlimmsten Alpträumen daran, dass dieser offenkundige Antagonismus letztendlich zu etwas wie Auschwitz führen würde (wovon ich nach dem Krieg das erste Mal hörte). Bis zum Ausbruch des Krieges waren Juden als Offiziere und freiwillige Rekruten in der deutschen Armee willkommen, und soziale Kontakte zu jüdischen Freunden wurden weitgehend aufrechterhalten. Ich gestehe, zu dieser Zeit mir über diese Umstände keine tiefgehenden Gedanken gemacht zu haben. Ich dachte, dass ein neuer Sündebock gefunden werden würde, sobald das politische Ziel dieser judenfeindlichen Kampagne erreicht wäre. Stalins serielle Verfolgung der Kulaken, der Offiziere der Armee (Tuchachevski, u.a.), der Trotzkisten, der Intelligenz und der russischen Juden schien glaubhafte Maßstäbe zu setzen. Während dieser Jahre war ich natürlich ein junger Ingenieur mit sehr wenig politischem Interesse, und vertiefte mich lieber in meine Studien über das Potential der Flüge ins All und in meine Raketen-Experimente. Ich war sehr glücklich, als ich von der deutschen Armee Unterstützung für meine Arbeit erhielt, in Form von gewissen Geldern und Fakultäten. Ich hatte damals keinerlei Skrupel diese Unterstützung anzunehmen. Nehmen wir mal an, die Gebrüder Wright hätten welche gehabt, als sie ihren ersten Vertrag mit dem  amerikanischen Verteidigungsministerium eingingen.
Als 1939 der Krieg begann, wurde unsere Arbeit an Raketen dazu bestimmt, Waffen zu produzieren. Einen Großteil meiner Zeit während des Krieges verbrachte ich in einer experimentellen Raketenforschungsstätte in Peenemünde, einem abgeschiedenen Ort an der Ostseeküste. Unsere Tage verbrachten wir mit Entwerfen, Bauen und Testen.
Ich wurde häufig gefragt, wie ich Kriegswaffen herstellen konnte. Ich habe viele Aufsätze über die moralischen Aspekte dieser allgemeinen Frage gelesen, die, so denke ich, so alt ist wie der Krieg an sich, und somit so alt wie die Menschheit. Aus meiner eigenen Erfahrung heraus kann ich nur Folgendes sagen: Wenn dein Land im Krieg ist, deine Freunde sterben, wenn deine Familie in ständiger Gefahr ist, wenn die Bomben um dich herum explodieren und du dein eigenes Heim verlierst, wird das Konzept eines gerechten Krieges sehr vage und entfernt, und du strebst an, deinem Feind mehr zuzufügen, als das, unter welchem du und deine Verwandten und deine Freunde leiden mussten.
Da war noch ein weiterer Aspekt: Unser Wissen über das, was in Deutschland und der Welt passierte, war durch die Propaganda-Maschine der Nazis eher beschränkt. In privaten Diskussionen mit Freunden diskutierte man gelegentlich Dinge wie die Existenz von Konzentrationslagern, in welchen alle möglichen Gegner des Hitlerregimes, inklusive der Juden, gehalten wurden. Aber ich erinnere mich nicht daran jemals etwas über einen einzelnen Vorfall einer Gräueltat, geschweige denn von absichtlichen Massentötungen von Zivilisten, gehört zu haben. Falls Sie das nur schwer glauben können, müssen Sie sich lediglich fragen wie lange es gedauert hat, bis Sie das erste Mal von dem Massaker am Mylai in Vietnam gehört haben, und das in einem Land mit einer freien Presse, welche eifrig unangenehme Fakten zu Tage bringt, anstatt in einem Land mit einer strikt kontrollierten Presse, welche dazu bestimmt ist, streng gehütete Staats-Geheimnisse zu beschützen und alles aus dem öffentlichen Bereich zu halten, was Hitler der Bevölkerung vorenthalten wollte.
Sie fragen mich, warum ich nicht meinen Einfluss nutzte, um die jüdische Bevölkerung zu retten. Zuerst, wie ich bereits sagte, war ich mir dessen nicht bewusst dass Gräueltaten in Deutschland gegen Jedermann begangen wurden. Ich wusste, dass prominente jüdische, katholische und protestantische Führer wegen ihrer Opposition gegen die Regierung inhaftiert wurden. Weiterhin vermutete ich durch den Umstand, dass ich meine eigenen jüdischen Freunde aus den Augen verloren hatte, dass viele Juden entweder außer Landes geflohen waren oder in Konzentrationslagern gehalten wurden. Aber inhaftiert werden und abgeschlachtet werden sind zwei verschiedene Dinge.
Zweitens, während ich wahrscheinlich innerhalb des Raketen-Programms der deutschen Armee eine gewisse Bedeutung hatte, konnte ich sicherlich keinen politischen Einfluss über irgendwen außerhalb Peenemündes handhaben. Ich selbst wurde von Himmler inhaftiert und benötigte den Einfluss meines kommandierenden Generals um mich selbst zu retten.
Wie Sie wissen, wurde das Ausmaß des eigentlichen Leidens und das kriminelle Massen-Schlachten des jüdischen Volkes nur einige Monate nach Beendigung der Kampfhandlungen der Welt bekannt, zu gleichem Zeitpunkt hörte auch ich selbst erst von diesen Dingen. Ich war tief geschockt und bin seitdem beschämt, mit einem Regime assoziiert worden zu sein, welches solcher Brutalität fähig war. Und, gemeinsam mit vielen Millionen meiner ehemaligen Landsmänner, welche erst von diesen Gräueltaten hörten, als der Krieg schon vorbei war, weiß ich, dass unsere Generation unseren Teil an der Schuld, mit allem was passierte, akzeptieren muss.

Mit freundlichen Grüßen,

Wernher von Braun

(Aus dem Englischen übersetzt von Torben Hager, Bochum
Appendix B aus dem Buch „Dr. Space – The Life of Wernher von Braun“ von Bob Ward, Naval Institute Press, S. 227 – 229)