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Prof. (em.) Dr. rer. nat. Dr.-Ing. E.h. Kurt Magnus


Meine Erinnerungen an Magnus
Olaf Przybilski

Zwar verpasste ich es immer wieder, Prof. Magnus persönlich zu treffen, doch in Telefonaten und in Briefen durfte ich mehr über ihn und die mich interessierende Raketentechnik erfahren.
In seinem Buch „Raketensklaven“ berichtet Kurt Magnus ausführlich über die Entwicklung im Antriebssektor („Filiale 1“; Seiten 196 bis 225). Das war zum damaligen Zeitpunkt neu und ist bis heute durch entsprechende Veröffentlichungen von russischer Seite nicht belegt worden. Doch wie ich an anderer Stelle beweisen konnte, hatte sich ja vorrangig das Ministerium für Luftfahrtindustrie mit der Weiterentwicklung der Raketen-Antriebstechnik mit deutscher Hilfe befasst. Ergänzend zum Gorodomljaner Entwicklungsteam um Umpfenbach teilte mir Herr Mieth erst kürzlich mit, dass die Experimentalbrennkammern in Art und Größe einer einzelnen Aggregat 4-Vorkammer ausgelegt waren, im Prinzip also rund 1,5 t Schub abgaben. Die interessanteste Mitteilung von Herrn Mieth war aber die, dass auch an schwenkbaren Ausführungen dieser Brennkammern gearbeitet wurde, die durch eine Rudermaschine des A4-Abtriebsringes bewegt werden konnten (± 20 °). Das Besondere an diesen Ausführungen ist die Gewährleistung der Dichtheit der Treibstoffzuführungen trotz beweglicher Bauteile. Zu Ergründen wäre nun die deutsche konstruktive Lösung und die mögliche Umsetzung in der russischen Praxis.
Es ergaben sich bereits schon 1993 mit Herausgabe seines Buches Fragen zu technischen und anderen Hintergründen. Im April 1995 hatte ich dann erste Briefkontakte zu Herrn Magnus. Meine damaligen „Bettelbriefe“ an alle mir bekannten „Alt-Spezialisten“ und –Familien wurden erfreulicherweise von ihm beantwortet. Obwohl sein „Russland Material im Laufe der Jahre so gründlich geplündert wurde, dass nichts Vernünftiges mehr übrig geblieben ist..“, wie er mir mitteilte. Doch ich konnte zumindest die „Legende“ ad absurdum führen, dass er Wettkämpfer der Olympischen Spiele von 1936 gewesen sei: Sein Ausweis als Teilnehmer des Internationalen Zeltlagers der Sportjugend eröffneten ihm damals alle (Stadion)-Tore. Technischerseits war eher nichts Neues mehr durch ihn mitgeteilt worden.
1996 teilte er mir mit, dass er zur (ersten) Hüftgelenk-OP muss, was einen sechswöchigen Klinikaufenthalt erfordert. Zumindest ab diesem Zeitpunkt stand es mit seiner Gesundheit nicht zum Besten. Trotzdem unterhielten wir uns per Post u.a. über diverse Veröffentlichungen, die die Spezialisten betraf. So sinnierte er am 30.07.96 über Tschertoks „Raketen und Menschen“: „Das sehr weitschweifig abgefasste Opus von Tschertok habe ich während des Klinikaufenthaltes durchgelesen. Es ist eine sehr schwer verdauliche Kost – ganz abgesehen von den schon von Ihnen erwähnten „Auslassungen“ und „Halbwahrheiten“. Wollte man die uns betreffenden Passagen kommentieren, müsste man fast schon ein ergänzendes Buch schreiben. Ich habe nicht die Absicht dazu Stellung zu nehmen oder Teile des Tschertok-Buches zu übersetzen. Es würde der beträchtlichen Mühe nicht lohnen.“
Ein Jahr später erfolgte seine 2. Hüft-OP. Danach ereilte ihn unglücklicherweise ein Herzinfarkt und er schreibt in einem allgemeinen Dankesbrief an alle, die seinen Geburtstag nicht vergaßen, dass er und seine Frau innerhalb von 1,5 Jahren 20 Wochen in unterschiedlichen Kliniken verbrachten.
Eine Zuspitzung muss sich 2000 ergeben haben. In einem Brief vom September des gleichen Jahres fasst er zusammen: „Nach 7 Klinikaufenthalten in den letzten 5 Jahren sind meine noch verbliebenen Fähigkeiten zum Lesen und Schreiben (Grüner Star) so reduziert, dass ich mich damit nur noch sehr begrenzt betätigen kann.“ Trotzdem schrieb er mir noch im Oktober 2001 eine nette Widmung in sein Buch „Raketensklaven“.
Die letzten Glückwunschkarten werden nur noch kurz beantwortet – Magnus erlebt das Ende des Jahres 2003 nicht mehr. Er verstirbt am 15. Dezember. Die Kraft mit den Krankheiten fertig zu werden fordert auch in seinem engsten Familienkreis Tribut: Der Tod seine Frau Christa einen Tag später ist für sie Erlösung.
Zum gleichen Zeitpunkt bewegten sich „Einmaligkeiten“ in meine Richtung, die unmittelbar mit Magnus zu tun hatten. Fam. Walter Fritzsch besuchte mich Ende Januar und übergab mir u.a. Bücher aus dem Besitz von Wilhelm Fritzsch, die teilweise aus dem Nachlass von Herrn Fritz Schieferdecker stammten. Schieferdecker nun wiederum war Mitarbeiter von Magnus in der UdSSR. In einem der mir übergebenen Bücher, einem russischen Fachbuch über Kreiseltechnik, ist folgende Widmung zu lesen: „Meinem lieben Mitarbeiter Fritz Schieferdecker zur Vervollständigung seiner russischen Sprachkenntnisse überreicht. Podlipki, den 11.5.47. K. Magnus“. Weiterhin durfte ich Magnus´s Erstlingswerk „Der Kreisel“ von 1945 entgegen nehmen - Ein Lehrbuch der Kreiseltechnik mit Anleitungen zur Durchführung von Versuchen. Auch hier eine Widmung von Magnus von 1948 an Schieferdecker. Schließlich eine Kostbarkeit, die mir bisher in noch keiner Quellenangabe aufgetaucht ist: „Grundbegriffe der Kreiseltheorie“ von Herrn Dipl.-Ing. J. Gievers von der Kreiselgeräte GmbH von Ende der dreißiger Jahre.
Magnus war ein vielseitig Interessierter, der sein Wissen auch anderen weitergab. Die Schüler von Gorodomlja bis München werden sich dankbar daran erinnern.